II. Fragestellung
1.
Welche Mehrkosten und welcher personelle Mehraufwand
gegenüber der Organisation als Amt innerhalb Kernverwaltung ergeben sich für
den Regiebetrieb allein aus seiner Organisation als solcher (Bsp.
Rechnungslegung, Bilanzierung, Jahresabschluss)?
2.
Welche Minderbelastungen und finanziellen Vorteile
ergeben sich für den Regiebetrieb demgegenüber aus demselben Grund?
3.
Mit welchem rechtlichen,
verwaltungsorganisatorischen und finanziellen Aufwand wäre eine Reintegration
des Regiebetriebes in die Kernverwaltung verbunden?
4. Welche konkreten Vorteile ergeben sich aus Sicht der Oberbürgermeisterin unabhängig fiskalischer Erwägungen aus der Existenz des Regiebetriebes?
ich beantworte Ihre
Anfrage wie folgt:
Zur Sitzung des Stadtrates am 04.04.2022 wurde folgende Zwischenantwort
ausgereicht:
Auf Grund der Komplexität der Fragen 1 bis 4,
die umfangreiche wie tiefgründige Betrachtungen erforderlich machen, ergeht
folgende Zwischenantwort:
„Im Zuge der Bewältigung des Systemumstiegs auf die neue Software „H+H
ProDoppik“ in 2020 und gleichzeitiger Etablierung einer Vermögensverwaltung in
diesem System entstanden bei der Erstellung des ersten Jahresabschlusses
enormer Abstimmungsaufwand und Klärungsbedarf mit dem Softwareanbieter. Wegen
des daraus resultierenden hohen Arbeitsaufkommens im Rechnungswesen des
Fachbereiches 4 wurde durch den Bürgermeister eine Aufgabenpriorisierung
festgelegt. So wird zunächst vorrangig der Jahresabschluss 2020 mit Lagebericht
fertiggestellt und die Wirtschaftsplanung 2022 unter Berücksichtigung vermehrt
angekündigter Preisanpassungen fortgeschrieben, um eine kurzfristige Vorlage
beim Thüringer Landesverwaltungsamt zu ermöglichen.
Zur Wahrung der gesetzlichen Fristen folgt
sodann die Aufstellung des Jahresabschlusses 2021.
Erst im Anschluss ist ein Aufgreifen der in
den Fragestellungen enthaltenen Themen möglich. Hierfür wäre eine Konkretisierung des Prüfauftrages
wünschenswert, um beurteilen zu können, ob die Problematik als internes Projekt
angegangen werden kann oder externe Unterstützung eingeholt werden muss.
Anzumerken ist an dieser Stelle, dass mit
einer Rückführung in die Kameralistik ein transparentes, periodengerechtes und
vor allem zukunftssicheres Buchungssystem mit einer Kosten- und
Leistungsrechnung als Voraussetzung einer zielgenauen Bereitstellung von Daten
u. a. für Kalkulationen (z.B. Gebühren und Entgelte) sowie die
Vermögenserfassung und -bewertung aufgegeben würde.“
Mit Bezug auf die
Zwischennachricht zu dieser Anfrage kann nunmehr der Vorschlag unterbreitet
werden, den Wirtschaftsprüfer (BDO) des optimierten Regiebetriebes (oRB) in eine Gremiensitzung für einen
mündlichen Vortrag zu dieser komplexen Thematik einzuladen. Ein Termin für eine
Gremiensitzung/ggf. auch Sondersitzung ist mit dem Wirtschaftsprüfer noch nicht
endabgestimmt.
Im Vorgriff hierauf
werden im Folgenden bereits Anmerkungen aus Sicht des oRB aufgeführt:
Mit Gründung des
(oRB) im Jahr 2008 hatte sich der Stadtrat der Stadt Eisenach gezielt dazu
entschieden, den damaligen Eigenbetrieb „Stadtwerke Eisenach“ in die Rechtsform
des „Optimierten Regiebetriebs“ umzuwandeln.
Diese Entscheidung
ist insbesondere auf Grund der Bündelung der technischen Aufgabenbereiche sowie
des sich langjährig bewährten Abrechnungssystems getroffen worden. Auf den Stadtratsbeschluss von Dezember 2007
wird verwiesen.
Ein Regiebetrieb ist
stets Teil der Trägerkörperschaft (Stadtverwaltung Eisenach) und besitzt daher
keine eigene Rechtspersönlichkeit. Er ist direkt in die Organisation der
Stadtverwaltung integriert und somit sowohl rechtlich, organisatorisch, personell
sowie haushalts- und rechnungsmäßig unselbstständig. Regiebetriebe können gemäß
§ 3 Abs. 1 Thüringer Eigenbetriebsverordnung (ThürEBV) ganz oder teilweise nach
den Bestimmungen über die Wirtschaftsführung der Eigenbetriebe geführt werden.
Insoweit wurde, auch um diese Wirtschaftsführung beizubehalten, die Rechtsform
des sogenannten „Optimierten“ Regiebetriebs gewählt.
So können
beispielsweise erzielte Einnahmen direkt zugeordnet werden. Auch die im Rahmen
der Jahresabschlüsse erwirtschafteten Jahresverluste bzw. Jahresüberschüsse
verbleiben beim oRB.
Zu 1.:
Wie eingangs
erläutert, besitzt der oRB der Stadt Eisenach keine eigene
Rechtspersönlichkeit. Organisatorisch ist er Teil der Stadtverwaltung und
unterliegt sowohl der Personal- als auch der Finanzhoheit des Stadtrats.
Insoweit sind sämtliche geltenden Dienstanweisungen, Verfügungen und
Dienstvereinbarungen der Kernverwaltung
auch für den oRB bindend. Allein die Abbildung des Vermögens, die Haushaltsplanung
sowie die Abwicklung des Geschäftsbetriebes werden separiert und damit ein
sogenanntes Sondervermögen gemäß ThürEBV verwaltet.
Durch die im oRB
angewandte kaufmännische Buchführung ergibt sich im Vergleich zur kameralen
Abwicklung schon allein durch die Vermögensverwaltung, die Kosten- und Leistungsrechnung
sowie durch die jährliche Aufstellung einer Gewinn- und Verlustrechnung sowie
der Bilanz ein geringfügiger, ohne konkrete Stellenbemessung nicht
bezifferbarer, Personalmehraufwand. Für die Jahresabschlussprüfungen durch eine
beauftragte externe Wirtschaftsprüfungsgesellschaft werden Mehrkosten in Höhe
von ca. 10 T€ jährlich generiert.
Zu bedenken ist,
dass mit der Wiedereingliederung des oRB in die kamerale Haushaltsführung durch
die im oRB entstehenden Verluste sowie dessen Investitionen eine Mehrbelastung für den
Verwaltungshaushalt aber auch den Vermögenshaushalt einhergeht und folglich
auch eine deutliche Verschlechterung der Ergebnisse der Jahresrechnung
eintritt.
Zu 2:
Finanzielle Minderbelastungen bzw. Vorteile allein aus
der Rechtsform des oRB werden derzeit nicht gesehen. Diese Betrachtung ist
jedoch im Hinblick auf die nach herrschender Meinung bestehenden Vorteile der
kaufmännischen/doppischen Buchführung einerseits und unter Berücksichtigung der
eingeleiteten Reform im Sinne des sogenannten „Neuen kommunalen Finanzwesens“
andererseits irrelevant.
Auf die Vorteile der
kaufmännischen Buchführung wird unter 4. detailliert eingegangen.
Zu 3:
Eine Reintegration
des oRB in die Kernverwaltung ginge insbesondere mit folgenden sehr
umfangreichen verwaltungsorganisatorischen Änderungen, die zudem eine Vielzahl
von Stadtratsbeschlüssen erforderlich machen, einher:
-
Aufhebung
der Betriebssatzung des oRB
-
Überführung
der Regelungen zum Anordnungswesen und der Kassenordnung in die Verordnungen
der Kernverwaltung
-
Anpassung
Hauptsatzung
-
Änderung
Geschäftsordnung: IBWT wäre kein Werkausschuss mehr;
insbesondere Befugnisse nach § 30 Abs. 1 der GO gehen auf HFA über
-
Überarbeitung
sämtlicher Dienstanweisungen, -vereinbarungen und Befugnisregelungen
-
Änderung
Organigramme, Geschäftsverteilung etc.
-
Administrative
Umstellungen in Fachverfahren und Outlook-E-Mailadressen
-
Aktualisierung
Website
-
Anpassung
Online-Spendenoption
-
Änderung
Briefbögen, Formulare, Vordrucke etc.
-
Anpassung
Überweisungsprogramm (SFirm) und Auflösung gesonderter Bankkonten
-
Stammdatenanpassung
für 122 Mitarbeiter im Zeiterfassungs- und Entgeltabrechnungs-programm (LOGA)
-
Änderung
work flow im Ratsinformationsprogramm „Session“
-
Zusammenführung
beider Systeme der Vertragsverwaltung u.v.m.
Der gravierendste
Arbeitsaufwand wird jedoch in der Rückabwicklung des kaufmännischen
Rechnungswesens in die Kameralistik
gesehen. In der Betrachtung gilt es folgendes zu berücksichtigen:
Ø
Notwendig
wird die Softwareumstellung H&H pro Doppik auf das Modul Kameralistik (erst
in 2020 erfolgte die Einführung von H&H pro Doppik im oRB mit enormen
zeitlichen und personellen Ressourcen und die erstmalige Etablierung einer
Vermögensverwaltung im System)
Ø
Modulumstellung
auf Kameralistik kommt einer erneuten Softwareumstellung gleich: neue
Stammdaten und Datenmigration (Plan- und Istwerte) nicht möglich (nochmals
enormer nicht kalkulierbarer Schulungsbedarf etc.)
Ø
Überführung
der Gewinn- und Verlustrechnung in die Haushaltsplanung und Jahresrechnung
durch Umschlüsselung aller Sachkonten, Kostenstellen, Kostenträger in die
Gliederungssystematik und Gruppierung der Kameralistik
Ø
Bildung
einer Vielzahl von zusätzlichen Haushaltstellen
Ø
Integration
aller Erlöse und Kostenarten (Planjahr und Jahresergebnis Vorvorjahr) in den
kameralen Haushaltsplan
Ø
Deutliche
Zeitverzögerung bei der Aufstellung des Haushaltsplanes im Umstellungsjahr (z.
B. mit Aufstellung des Jahresabschlusses in diesem Planjahr sind die
Verbindlichkeiten per 31.12. gleichzeitig als Ausgabeansatz zu veranschlagen)
Ø
Auflösung
der Bilanz und Überführung aller Bilanzdaten in den kameralen Haushalt;
Auflösung aller Bilanzpositionen ist nur mit externer Unterstützung möglich
(hieraus resultierender finanzieller Aufwand ist auf Grund des nicht
überschaubaren Umfangs nicht bezifferbar)
Ø
Verlust
der Kosten- und Leistungsrechnung und damit der Grundlage für eine ordnungsgemäße
Gebühren- und Entgeltkalkulation; deutliche Einschränkung in den Möglichkeiten
der Berichtserstattung an die Stadträte
bzw. Ortsteilräte (Minimierung der Transparenz)
Ø
Verlust
der aufwendig eingerichteten Schnittstelle zum Friedhofsprogramm ProSiris und
folglich wieder manuelle Verbuchung sämtlicher Gebührenbescheide
Ø
Für den
Automatisierungsprozess der Leistungserfassung und -verrechnung wurde das
Zusatzmodul von H&H Pro Doppik „Bauhof und Betriebe“ für 22 T€ beschafft.
Zu 4:
Der grundlegende
Vorteil der Existenz des oRB basiert auf dem kaufmännischen Rechnungswesen mit
der etablierten KLR. Die nachfolgende Übersicht zeigt die Vorteile einer
kaufmännischen Buchführung im Vergleich zur Kameralistik auf:
Kaufmännische/Doppische
Buchführung |
Kameralistik |
Erfassung von
Erträgen und Aufwendungen (Ressourcen statt Geldverbrauch) |
Erfassung von
kassenmäßigen Einnahmen und Ausgaben (reiner Geldfluss) |
Periodengerechte Abbildung
des Werteverzehrs und der Leistungserstellung (Generationengerechtigkeit) |
Keine Abbildung
des Werteverzehrs und der Leistungserstellung; auch keine periodengerechte
Abgrenzung |
Jederzeitige
Feststellung des Stands des Vermögens und der Schulden möglich |
Kein integrierter
Vermögensnachweis |
Unterjährige
Ermittlung des Erfolges: Jahresüberschuss /-fehlbetrag |
Unterjährige
Berichterstattung sehr schwierig |
Kosten-/Leistungsrechnung
ermöglicht die Bereitstellung von Daten für innerbetriebliches Controlling |
Controllingdaten
nur bei begleitender Kosten- / Leistungsrechnung |
Bedarfsgerechtere
Mittelverwendung |
Drang zur
Ausschöpfung der Haushaltsansätze („Dezemberfieber“) |
Beibehaltung der kaufmännischen
Buchführung: |
Kameralistik
für die Gesamtverwaltung: |
Zielgenaue
Bereitstellung von Daten für Kalkulationen z.B. Gebührensatzungen (Friedhof,
Kita), Betriebskosten möglich |
Ungenauere
Datenauswertung möglich; Zugrundlegung von bspw. KGSt-Daten oder begleitende
Kosten- / Leistungsrechnung erforderlich, die neu aufgebaut werden müsste |
Modernes
Buchführungssystem mit Parallelen zur Doppik gem. ThürKDG und
ThürGemHV-Doppik à zukunftssicher |
Thüringer
Haushaltsrecht sieht weiterhin Wahlrecht vor; allgemeiner Trend geht jedoch
zur Doppik à Auslaufmodell |
Darstellung des im
Betrieb geführten Vermögens und dessen Verzehr |
Begleitende
Anlagenbuchhaltung erforderlich |
Exakte Planung der
Ausgaben möglich, da flexibles Deckungssystem vorhanden |
Kostenintensivere
Planung erforderlich, da aufgrund fehlender Deckungsmöglichkeiten finanzielle
Puffer eingeplant werden müssen |
Schnelle
Handlungsfähigkeit u.a. bei neuen politisch gewollten Maßnahmen möglich |
Großer
Verwaltungsaufwand durch üPls und aPls insbesondere bei der Suche nach
Deckungsmitteln |
Ausschließlich
fachspezifisches, betriebswirtschaftlich geschultes Personal in der
Finanzbuchhaltung des Regiebetriebs vorhanden; Auch künftig gute
Verfügbarkeit von Fachpersonal auf dem Arbeitsmarkt |
Intensiver
Schulungsaufwand für Mitarbeiter des Regiebetrieb, die bisher ausschließlich
kaufmännisch buchten à Schulungskosten für die Einführung von H+H Modul Kameralistik; künftig
reformbedingt weniger Personalressourcen am Arbeitsmarkt |
Beibehaltung der kaufmännischen Buchführung |
Kameralistik
für die Gesamtverwaltung |
Funktionierende
Abrechnung steuerlicher Geschäftsvorgänge |
Erschwerte
Steuerbearbeitung hinsichtlich der Betriebe gewerblicher Art |
Die Aufgabe der
kaufmännischen Buchführung ist im Hinblick auf die diesbezüglichen europa- und
deutschlandweiten Entwicklungen keine Option.
Europaweit laufen
Umstellungsprozesse zur flächendeckenden Doppik-Etablierung (EPSAS=European
Public Sector Accounting Standards), wobei Deutschland hier bislang eine
Außenseiterrolle einnimmt:
Ø
November
2003: Beschluss der Innenministerkonferenz zur Einführung der Doppik mit
Optionslösung
Ø
Januar
2006: Kabinettsbeschluss zu Optionsmodellen und Festlegung, dass Kameralistik bis auf Weiteres fortgeführt werden
kann
Ø
November
2008: Inkrafttreten des Thüringer Gesetzes über das neue kommunale Finanzwesen
Ø
Thüringen
hat mit dem Gesetz über die Kommunale Doppik, mit der
Gemeindehaushalts-verordnung-Doppik, der Thüringer Bewertungsverordnung und
umfassenden Verwaltungsvorschriften in 2008-2009 den gesetzlichen Rahmen und
die Durchführungsbestimmungen zur Doppikeinführung geschaffen
Ø
Einzig
die beiden Bundesländer Thüringen und Bayern machen weiterhin von der
Wahlmöglichkeit Gebrauch. Per
Kabinettsbeschluss müssen nun auch in Schleswig-Holstein alle Kommunalhaushalte
bis 2024 auf Doppik umgestellt werden.
Ø
April
2010: Beauftragung der PWC mit der Evaluierung der Reform des Haushalts- und
Rechnungswesens (Doppik-Einführung) durch den Deutschen Städtetag
Ø
Lt.
Thüringer Landesamt für Statistik zum 01.01.2017 haben 34 Kommunen auf Doppik umgestellt (darunter ein Landkreis)
Die EU hat 2018 im
Zuge der Einführung der harmonisierten Rechnungslegungsstandards ein EPSAS-Rahmenkonzept formuliert, sodass
der Einführungsprozess nicht zuletzt auch aus statistischen Gründen sicher
weiter vorangetrieben wird.