Betreff
Konzept zur Umsetzung der Armutspräventionsrichtlinie
Vorlage
0245-StR/2015
Art
Beschlussvorlage Stadtrat

I. Beschlussvorschlag:

 

Der Stadtrat der Stadt Eisenach beschließt:

Die Oberbürgermeisterin wird beauftragt ein Konzept zur Umsetzung der Armutspräventionsrichtlinie zu erarbeiten und dem Stadtrat zur Beschlussfassung vorzulegen.


II. Begründung:

 

Eisenach steht, wie auch andere Thüringer Kommunen, vor der Herausforderung, sich den grundlegenden veränderten Lebensbedingungen der Menschen vor Ort anzupassen und auch in Zeiten finanzieller Engpässe Antworten auf die Sicherung der sozialen Infrastruktur zu finden und die Stadt zukunftsfähig zu gestalten. 

 

Eine besondere Herausforderung neben der demografischen Entwicklung sind Entwicklungen bei sozialen Problemlagen, insbesondere der Armut, die in Folge zu steigenden Sozialausgaben führen werden.

 

Im Allgemeinen betreffen Armutslagen ganz besonders jüngere Menschen, Alleinerziehende und kinderreiche Familien, Erwerbslose sowie Menschen mit nur niedrigen oder ohne Bildungsabschlüsse und mit Migrationshintergrund.

 

Der Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbandes (Berlin, 2015) weist im Juli 2014 für Eisenach eine SGB II- Bezugsquote von 13,3 % aus. Das liegt über dem Thüringer Durchschnitt von 10,8 % und ist nach Gera, Altenburger Land, Kyffhäuserkreis, Erfurt und dem Landkreis Nordhausen die sechsthöchste Quote in Thüringen.

 

So lebten zum Beispiel im Juli 2014 in Eisenach 1.146 Kinder unter 15 Jahren im SGB II- Hilfebezug. Das ist es jedes 4. Kind in dieser Altersgruppe. Diese Quote stellt nur eine Kennziffer zur Bestimmung der Einkommensarmut dar. Die tatsächliche Armutsquote liegt unter Einbezug weiterer soziodemografischer Merkmale allerdings höher. Deutschlandweit ist seit 2006 eine Entkoppelung von Armuts- und SGB II- Quote im Hinblick auf eine Spreizung zwischen diesen beiden Quoten mit generell zunehmender Tendenz festzustellen (Quelle: Armutsbericht der Parität, 2015). Die Lebenslagen und der mögliche Unterstützungsbedarf dieser Kinder werden oft in verschiedenen Ressorts bearbeitet und bestehen  vor allem in den Bereichen Wohnen, Ernährung, physische und psychische Entwicklung, altersgerechte Umgebung, Beschäftigung und Förderung sowie sozialem Lernen der Kinder.

 

Der Wohlfahrtsverband warnt insbesondere auch vor der steigenden Altersarmut, die viel stärker zunimmt als bei irgendeiner anderen Bevölkerungsgruppe. Die bundesweiten Quote bei den Menschen im Alter von 65 Jahren oder älter (14,3 %) ist derzeit noch unterdurchschnittlich von Armut betroffen, aber die Zuwächse seit 2006 mit 37,5 % sind ungleich höher als in anderen Risikogruppe (Quelle: Armutsbericht Parität, 2015).

Eisenach hat schon jetzt einen hohen Altersquotienten beim Bevölkerungsanteil - bei steigender Tendenz - was das Bild der auf Eisenach zukommenden, steigenden Altersarmut deutlich unterstreicht. Hinzu kommt eine große Anzahl von alleinlebenden Hochaltrigen in Eisenach (ab 85 Jahre), deren Situation zwar weniger auffällig, aber umso alarmierender ist, wenn man die Aspekte der Vereinsamung und Unterversorgung bedenkt.

 

Allein diese beiden Risikogruppen machen den akuten ressortübergreifenden Handlungsbedarf deutlich.

 

Sozialplanung hat die Gestaltung der sozialen Lebensbedingungen im Rahmen kommunaler Daseinsvorsorge zum Ziel und wird in der Regel auf verschiedenen Ebenen realisiert. Sie soll den Bestand an Einrichtungen, Diensten und Maßnahmen darstellen, aber auch Bedarfe feststellen und Maßnahmestrategien entwickeln.

Eine ressortübergreifende, integrierte Betrachtungsweise eröffnet der Sozialplanung - u. a. bei der Gestaltung des demographischen Wandels - eine neue Perspektive. Sie bietet neue Chancen zur Vernetzung, zum Aufbau lokaler Verbundsysteme und flächendeckender Versorgungsstrukturen bei der Bekämpfung sozialer Problemlagen.

Eine solche ressortübergreifende und strategisch ausgerichtete Sozialplanung findet in der Form in der Stadt Eisenach bislang nicht statt. Maßnahmen und Angebote werden, je nach Aufgabenstellung und Bedarf in den einzelnen Fachbereichen geplant und umgesetzt.

 

Ausgangspunkt einer solchen Sozialplanung ist eine ressortübergreifende Sozialberichterstattung. Sie soll die vorhandene soziale Infrastruktur, Lebenslagen und Sozialstrukturdaten möglichst kleinräumig und ressortübergreifend darstellen und die Grundlage für weiter gehende Planungen liefern. Allerdings ist die vorhandene Datenlage nicht immer geeignet, eine kleinräumige und ressortübergreifende Sozialberichterstattung zu realisieren.

So bietet z. B. der Mikrozensus mit seiner Zufallsstichprobe von 1 % aller deutschen Haushalte (ca. 390.000 Haushalte mit etwa 830.000 Personen) deutschland- oder auch landesweit eine valide Datenquelle für die Erfassung von Lebenslagenarmut. Für Eisenach ist die Stichprobe aufgrund der geringen Anzahl der befragten Haushalte und Personen allerdings zu allgemein und ein sozialräumlicher Bezug innerhalb Eisenach ist nicht möglich.

Ein anderer Aspekt bei den vorhandenen Leistungsdaten ist die nicht vorhandene Kleinräumigkeit innerhalb von Eisenach. Die Bertelsmann Stiftung wies im Rahmen einer Studie exemplarisch nach, dass z. B. das Armutsgefälle innerhalb ein und derselben Stadt u. U. erheblich höher sein kann als zwischen den Regionen und es offenbar eklatante Unterschiede in den Lebensbedingungen der heranwachsenden Generation gibt. Die Betrachtung einzelner Stadtviertel im Rahmen des Sozialraumatlas KECK („Kommunale Entwicklung – Chancen für Kinder“) wies 2012 z. B. für Jena nach, dass, dass die Armutsquote von Kindern unter drei Jahren in einzelnen Stadtteilen zwischen einem und 50 % schwankte.

 

Für Eisenach sind solche quantitative Daten zur Sozialen Sicherung (in der Regel Leistungsdaten) vorhanden, können aber in Bezug auf spezielle Lebenslagen, sozialräumlich oder bei Mehrfacherfassungen oft nicht ausreichend verknüpft werden. 

Vertiefende qualitative Untersuchen (Befragungen, Lebenslageninterviews) waren bisher aufgrund des Arbeitsaufwandes und nicht vorhandener personeller Kapazitäten kaum fundiert  möglich.

 

Allerdings ist eine ressortübergreifende und strategisch ausgerichtete Sozialplanung mehr als eine reine Berichterstattung. Sie soll vor allem ganzheitliche Bedarfe feststellen,  Teilfachplanungen vernetzen, den Datenaustausch organisieren und eine operative und strategische Planung von Maßnahmen durchführen bzw. unterstützen. 

Das ist mit den personellen Ressourcen momentan nicht zu leisten.

 

Die Umsetzung einer  integrierten Sozialplanung in möglichst allen Gebietskörperschaften Thüringens ist seitens des Freistaates Thüringen gewollt. Dafür werden in der aktuellen ESF- Förderperiode (bis 2021) EU-Mittel zur Verfügung gestellt.

Ab 2015 stehen im Rahmen der sogenannten ‚Armutspräventionsrichtlinie’ für jede Gebietskörperschaft jährlich 50.000,00 € für den Aufbau einer integrierten Sozial- und Bildungsplanung zur Verfügung. Bei der Finanzierung werden 80% aus ESF- Mitteln gefördert und 20% müssen aus Eigenmitteln oder nichtbaren, fiktiven Eigenleistungen (z.B. sachbezogene Arbeitsplatzkosten) des Zuwendungsnehmers finanziert werden, die aber auch aus Mitteln des Freistaates Thüringen finanziert werden könnten. Nach Punkt 2.1 der Richtlinie kann über diese Fördermittel u. a. ein/e Planungskoordinator/in  (Sozialplaner/in mit maximal einer VZÄ) finanziert werden.

 

Eine solche Integrierte Sozialplanung soll möglichst viele Planungsbereiche der öffentlichen Verwaltung, u. a. von Sozial- und Jugendhilfe, Arbeitsverwaltung über Bildungs- und Gesundheitsplanung bis hin zur Stadtentwicklung berühren.

Dazu ist es einerseits erforderlich, integrierte Sozialplanung innerhalb der Stadtverwaltung zu implementieren und andererseits mit externen Partnern (z. B. dem Jobcenter, der Agentur für Arbeit, der Liga der Wohlfahrtspflege, freien Trägern der Sozial- und Jugendhilfe, der Polizei usw.) eine aktive Netzwerkarbeit zu betreiben sowie  eine gemeinsame Handlungsstrategie zu erarbeiten.

Dies wäre aber nur mit der Einrichtung einer vom Land geförderten Personalstelle für die Integrierten Sozialplanung möglich, die als Informationsschnittstelle für alle Planungsangelegenheiten fungieren und zu einer fachlichen Stärkung der Fachplanungen beitragen könnte.

 

Voraussetzung für eine Förderung über die Armutspräventionsrichtlinie ist die Erstellung eines Konzeptes, aus dem hervorgeht, welche Ziele mit integrierter Sozialplanung  erreicht und wie sie umgesetzt werden soll. Dazu soll der Stadtrat frühzeitig eingebunden werden.

 

Erst mit der Einreichung eines Konzeptes könnte die Stadt Eisenach eine geförderte Stelle für die Integrierte Sozialplanung beantragen.

 

Aktuell ist es allerdings so, dass die Stadt Eisenach finanzielle Engpässe hat und der Beschluss des Stadtrates vom 02.12.2014 zum Haushaltssicherungskonzept unter anderem festlegt, dass keine weiteren Stellen im Stellenplan und im Personalkonzept aufgebaut werden dürfen.

 

Um die Vorbereitungsarbeiten zur Umsetzung eines solchen Integrierten Planungskonzeptes durchzuführen, benötigt die Verwaltung deshalb die bedingte Aufhebung des Stadtratsbeschlusses vom 02.12.2014 in Bezug auf die Einrichtung einer integrierten Sozialplanungsstelle, da es sich hierbei um eine zusätzliche Aufgabe handelt.


Anlagenverzeichnis:

 

Armutspräventionsrichtlinie