II. Fragestellung
1. Wie bewertet die Verwaltung diesen Vorgang?
2. In wie weit wurde hier gegen den Paragrafen 38 ThürKO verstoßen?
ich beantworte Ihre Anfrage wie folgt:
Zu 1 und 2.:
In der Sitzung des Jugendhilfeausschusses am 17.03.2016 wurde unter dem
Tagesordnungspunkt 5 der gemeinsame Antrag der SPD-, CDU, DIE LINKE und B
90/Die Grünen/BfE-Fraktion zum Kindertreff in Eisenach Nord mit folgendem
Wortlaut behandelt: Der Jugendhilfeausschuss war aufgefordert, eine Empfehlung
zum Antrag für den Stadtrat abzugeben.
Der Stadtrat der Stadt
Eisenach beschließt:
1. Die
Oberbürgermeisterin wird beauftragt, bis Ende Mai 2016 den Kindertreff in
Eisenach Nord wieder zu eröffnen und hierfür die notwendigen Voraussetzungen zu
schaffen. Der Betrieb des Kindertreffs Eisenach Nord erfolgt weiterhin in
freier Trägerschaft. Die Vergabe an einen freien Träger geschieht im Zuge einer
Ausschreibung.
2. Die
aktuelle Jugendförderplanung der Stadt Eisenach ist dahingehend anzupassen,
dass bei der strukturellen Maßnahmenplanung (7.3) im Maßnahmenbereich der
Kinder- und Jugendarbeit die Personalkostenförderung für Einrichtungen in
Eisenach Nord auf insgesamt 5 VZÄ erhöht wird. Die Erhöhung des Personalkostenzuschusses
ist in den Haushaltentwurf 2016 einzuarbeiten.
3. Sofern
der Kindertreff in den ursprünglichen Räumlichkeiten am Gebräun 1e
wiedereröffnet wird, sollen dem Begegnungszentrum ersatzweise Räumlichkeiten in
Eisenach Nord bereitgestellt werden. Die Oberbürgermeisterin wird beauftragt,
in diesem Fall Kontakt mit der Städtischen Wohnungsgesellschaft zur
Bereitstellung der Räumlichkeiten aufzunehmen. Die neuen Räumlichkeiten des
Begegnungszentrums sollen dahingehend strukturiert sein, dass dort grundsätzlich
auch Beratungsleistungen (Ausländerbehörde, Beauftragte für Menschen mit
Migrationshintergrund, Sozialberatung, Familienberatung u.a.) angeboten werden
können.
In der Ausschusssitzung hat der Jugendhilfeausschuss ausschließlich die
Einrichtung eines Kindertreffs in Eisenach-Nord diskutiert und zum Antrag
folgende Empfehlung abgegeben:
„Der
Jugendhilfeausschuss empfiehlt dem Stadtrat der Stadt Eisenach:
Die
Beschlussfassung zum vorliegenden Antrag auf die Stadtratssitzung am 10.05.2016
zu vertagen.
Das Abstimmungsergebnis war wie folgt: 10
Stimmen dafür
0 Stimmen dagegen
0 Stimmenthaltungen
Mit Ihrer Anfrage möchten sie eine Bewertung und fragen nach einem
Verstoß gegen den § 38 ThürKO.
Gesetzestext - § 38 ThürKO
(1) Kann ein Beschluss
einem Mitglied des Gemeinderates selbst oder seinem Ehegatten oder einem
Verwandten oder Verschwägerten bis zum dritten Grad (§§ 1589, 1590 des
Bürgerlichen Gesetzbuchs) oder einer von ihm kraft Gesetzes oder Vollmacht
vertretenen natürlichen oder juristischen Person unmittelbar einen Vorteil oder Nachteil bringen, so darf es
an Beratung und Abstimmung nicht
teilnehmen. Dies gilt nicht, wenn das Mitglied an der Entscheidung der
Angelegenheit lediglich als Angehöriger einer Berufs- oder Bevölkerungsgruppe
beteiligt ist, deren gemeinsame Interessen durch die Angelegenheit berührt
werden. Als unmittelbar gilt nur
derjenige Vorteil oder Nachteil, der sich direkt aus der Entscheidung ergibt,
ohne dass weitere Ereignisse eintreten oder Maßnahmen getroffen werden müssen,
die über die Ausführung von Beschlüssen hinausgehen. ...
(2) ...
(3) Der Betroffene hat die Tatsachen, die seine persönliche
Beteiligung begründen können, vor
Beginn der Beratung unaufgefordert
dem Gemeinderat zu offenbaren. Die Entscheidung über den Ausschluss von der
Beratung und Abstimmung trifft der Gemeinderat in nicht öffentlicher Sitzung in
Abwesenheit des Betroffenen.
(4) Der Beschluss ist nur dann unwirksam, wenn ein Mitglied des
Gemeinderats oder ein hauptamtlicher Beigeordnete zu Unrecht von der Beratung und Abstimmung ausgeschlossen worden ist oder
ein persönlich Beteiligter an der
Abstimmung teilgenommen hat und nicht
auszuschließen ist, dass seine
Teilnahme an der Abstimmung für das Abstimmungsergebnis entscheidend war.
Der Beschluss gilt jedoch als von Anfang an wirksam, wenn die in Satz
1 genannte Verletzung der
Bestimmungen über die persönliche Beteiligung nicht innerhalb von drei Monaten nach der Beschlussfassung unter
Bezeichnung der Tatsachen, die eine solche Verletzung begründen können,
gegenüber der Gemeinde geltend gemacht
worden ist. ...
Ziel der Mitwirkungsverbote
(Erläuterung zum Gesetzesentwurf der
Landesregierung vom 13.02.2002)
·
Es soll verhindert werden, dass sich kommunale
Entscheidungsträger bei ihren Entscheidungen von Motiven leiten lassen, die
nicht am Gemeinwohl orientiert, sondern durch eigene Interessen bestimmt sind.
Sie sind insofern Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips nach Art. 19 Abs. 4 GG.
·
Das Mitwirkungsverbot soll ferner das Vertrauen der
Bevölkerung in die „Sauberkeit der Ratsarbeit“ erhalten.
·
Den betroffenen Personen sollen persönliche
Konfliktsituationen erspart werden, die unausweichlich wären, wenn bei einer
Entscheidung des Gemeinderats abzuwägen wäre zwischen Interessen der Gemeinde
einerseits und denjenigen eines nahen Angehörigen andererseits.
Gegensatz zu
Mitwirkungsverboten
·
Erhaltung der Funktionsfähigkeit des gemeindlichen
Kollegialorgans
(Der – unrechtmäßige – Ausschluss eines Ratsmitgliedes kann die politischen
Mehrheitsverhältnisse verändern und damit die Repräsentationsfunktion des
Kollegialorgans einschränken)
·
Die Mitglieder der kommunalen
Vertretungskörperschaft haben das Recht auf ungehinderte Teilnahme an den
Entscheidungen der Gremien.
(Erläuterungen zum Kommunalrecht
„Kommunalpolitisches Forum Thüringen e.V.)
Þ
Die Auslegung des § 38 ThürKO erfolgt in einem
ständigen Spannungsverhältnis zwischen den Zielen und den Rechten der
Gemeinderäte beziehungsweise der Wahrung der Arbeitsfähigkeit des
Kollegialorgans.
(Erläuterung zum Gesetzesentwurf der
Landesregierung).
Definition Vorteil/Nachteil
Der Begriff des Vorteils/Nachteils ist
grundsätzlich weit zu fassen. Es genügt hier jede materielle oder ideelle
Besser- oder Schlechterstellung.
(Kommentierung Uckl/Hauth/Hoffmann)
Definition Unmittelbarkeit
Unmittelbarkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der Auslegung
bedarf. Es besteht hierbei ein Beurteilungsspielraum, der uneingeschränkt von
den Aufsichtsbehörden und den Verwaltungsgerichten überprüft werden kann. Ein
nur eingeschränkt überprüfbarer Ermessensspielraum besteht nicht.
Die Unmittelbarkeit ist zunächst nur gegeben, wenn der Vorteil oder
Nachteil folgt:
·
aus dem Beschluss
selbst
(Beschluss trägt den Vollzug in sich)
·
aus dem Vollzug
des Beschlusses
(Der Beschluss erlangt durch den Vollzug des Bürgermeisters Außenwirkung.)
Der Beschluss des Gemeinderats muss ursächlich für den möglichen Eintritt
des Vor- oder Nachteils sein. Hierbei genügt ein adäquater Kausalzusammenhang, d. h., es reicht aus, dass der
Beschluss nach den allgemeinen Lebenserfahrungen geeignet ist, den Vor- oder
Nachteil herbeizuführen. Bloße Spekulationen können Unmittelbarkeit nicht begründen. Unmittelbarkeit setzt weiter voraus, dass der Gemeinderat bei
seinem Beschluss gerade gegenüber dem Betroffenen eine Regelung zu seinem Vor-
oder Nachteil treffen will. Das ist dann der Fall, wenn der Beschluss auf die
individuellen Interessen des Betroffenen abstellt und ihm einen Sondervorteil
oder –nachteil bringt.
(Kommentierung Uckl/Hauth/Hoffmann)
Schlussfolgerungen:
Es ist zunächst zu prüfen, ob die Empfehlung
des Jugendhilfeausschusses an den Stadtrat unmittelbar für das stimmberechtigte
Mitglied und gleichzeitig Vorsitzenden des Jugendhilfeausschusses, Herrn Böhm,
einen Vorteil oder Nachteil bringt. Dies muss verneint werden. Herr Böhm ist
Leiter der Geschäftsstelle der Caritasregion Südthüringen. Die Caritas betreibt
derzeit bis zum 30.06.2016 in Trägerschaft das Begegnungszentrum Eisenach-Nord.
Die letztendliche Entscheidung über den
Antrag trifft der Stadtrat. Herr Böhm ist nicht Mitglied des Stadtrates und
kann somit die Entscheidung nicht beeinflussen. Der Vorteil oder Nachteil
könnte sich nur aus dem Vollzug des Beschlusses ergeben. Demzufolge beinhaltet
die Empfehlung des Jugendhilfeausschusses zum o.g. Antrag keine Maßnahme, die
einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil für Herrn Böhm bringt.
Entsprechend der Ausführungen ist
festzustellen, dass eine persönliche Beteiligung von Herrn Böhm gemäß § 38
ThürKO nicht gegeben ist.