Betreff
Anfrage der NPD-Stadtratsfraktion - Auflösung des Optimierten Regiebetriebes und seine Folgen
Vorlage
AF-0236/2022
Art
Anfrage

II. Fragestellung

 

1.       Welche Mehrkosten und welcher personelle Mehraufwand gegenüber der Organisation als Amt innerhalb Kernverwaltung ergeben sich für den Regiebetrieb allein aus seiner Organisation als solcher (Bsp. Rechnungslegung, Bilanzierung, Jahresabschluss)?

2.       Welche Minderbelastungen und finanziellen Vorteile ergeben sich für den Regiebetrieb demgegenüber aus demselben Grund?

3.       Mit welchem rechtlichen, verwaltungsorganisatorischen und finanziellen Aufwand wäre eine Reintegration des Regiebetriebes in die Kernverwaltung verbunden?

4.       Welche konkreten Vorteile ergeben sich aus Sicht der Oberbürgermeisterin unabhängig fiskalischer Erwägungen aus der Existenz des Regiebetriebes?


ich beantworte Ihre Anfrage wie folgt:

 

Zur Sitzung des Stadtrates am 04.04.2022 wurde folgende Zwischenantwort ausgereicht:

 

Auf Grund der Komplexität der Fragen 1 bis 4, die umfangreiche wie tiefgründige Betrachtungen erforderlich machen, ergeht folgende Zwischenantwort:


„Im Zuge der Bewältigung des Systemumstiegs auf die neue Software „H+H ProDoppik“ in 2020 und gleichzeitiger Etablierung einer Vermögensverwaltung in diesem System entstanden bei der Erstellung des ersten Jahresabschlusses enormer Abstimmungsaufwand und Klärungsbedarf mit dem Softwareanbieter. Wegen des daraus resultierenden hohen Arbeitsaufkommens im Rechnungswesen des Fachbereiches 4 wurde durch den Bürgermeister eine Aufgabenpriorisierung festgelegt. So wird zunächst vorrangig der Jahresabschluss 2020 mit Lagebericht fertiggestellt und die Wirtschaftsplanung 2022 unter Berücksichtigung vermehrt angekündigter Preisanpassungen fortgeschrieben, um eine kurzfristige Vorlage beim Thüringer Landesverwaltungsamt zu ermöglichen.

Zur Wahrung der gesetzlichen Fristen folgt sodann die Aufstellung des Jahresabschlusses 2021.

Erst im Anschluss ist ein Aufgreifen der in den Fragestellungen enthaltenen Themen möglich. Hierfür  wäre eine Konkretisierung des Prüfauftrages wünschenswert, um beurteilen zu können, ob die Problematik als internes Projekt angegangen werden kann oder externe Unterstützung eingeholt werden muss.

Anzumerken ist an dieser Stelle, dass mit einer Rückführung in die Kameralistik ein transparentes, periodengerechtes und vor allem zukunftssicheres Buchungssystem mit einer Kosten- und Leistungsrechnung als Voraussetzung einer zielgenauen Bereitstellung von Daten u. a. für Kalkulationen (z.B. Gebühren und Entgelte) sowie die Vermögenserfassung und -bewertung aufgegeben würde.“

 

 

Mit Bezug auf die Zwischennachricht zu dieser Anfrage kann nunmehr der Vorschlag unterbreitet werden, den Wirtschaftsprüfer (BDO) des optimierten Regiebetriebes  (oRB) in eine Gremiensitzung für einen mündlichen Vortrag zu dieser komplexen Thematik einzuladen. Ein Termin für eine Gremiensitzung/ggf. auch Sondersitzung ist mit dem Wirtschaftsprüfer noch nicht endabgestimmt.

Im Vorgriff hierauf werden im Folgenden bereits Anmerkungen aus Sicht des oRB aufgeführt:

 

Mit Gründung des (oRB) im Jahr 2008 hatte sich der Stadtrat der Stadt Eisenach gezielt dazu entschieden, den damaligen Eigenbetrieb „Stadtwerke Eisenach“ in die Rechtsform des „Optimierten Regiebetriebs“ umzuwandeln.

Diese Entscheidung ist insbesondere auf Grund der Bündelung der technischen Aufgabenbereiche sowie des sich langjährig bewährten Abrechnungssystems getroffen worden.  Auf den Stadtratsbeschluss von Dezember 2007 wird verwiesen.

 

Ein Regiebetrieb ist stets Teil der Trägerkörperschaft (Stadtverwaltung Eisenach) und besitzt daher keine eigene Rechtspersönlichkeit. Er ist direkt in die Organisation der Stadtverwaltung integriert und somit sowohl rechtlich, organisatorisch, personell sowie haushalts- und rechnungsmäßig unselbstständig. Regiebetriebe können gemäß § 3 Abs. 1 Thüringer Eigenbetriebsverordnung (ThürEBV) ganz oder teilweise nach den Bestimmungen über die Wirtschaftsführung der Eigenbetriebe geführt werden. Insoweit wurde, auch um diese Wirtschaftsführung beizubehalten, die Rechtsform des sogenannten „Optimierten“ Regiebetriebs gewählt.

So können beispielsweise erzielte Einnahmen direkt zugeordnet werden. Auch die im Rahmen der Jahresabschlüsse erwirtschafteten Jahresverluste bzw. Jahresüberschüsse verbleiben beim oRB.

 

Zu 1.:

Wie eingangs erläutert, besitzt der oRB der Stadt Eisenach keine eigene Rechtspersönlichkeit. Organisatorisch ist er Teil der Stadtverwaltung und unterliegt sowohl der Personal- als auch der Finanzhoheit des Stadtrats. Insoweit sind sämtliche geltenden Dienstanweisungen, Verfügungen und Dienstvereinbarungen  der Kernverwaltung auch für den oRB bindend. Allein die Abbildung des Vermögens, die Haushaltsplanung sowie die Abwicklung des Geschäftsbetriebes werden separiert und damit ein sogenanntes Sondervermögen gemäß ThürEBV verwaltet.

Durch die im oRB angewandte kaufmännische Buchführung ergibt sich im Vergleich zur kameralen Abwicklung schon allein durch die Vermögensverwaltung, die Kosten- und Leistungsrechnung sowie durch die jährliche Aufstellung einer Gewinn- und Verlustrechnung sowie der Bilanz ein geringfügiger, ohne konkrete Stellenbemessung nicht bezifferbarer, Personalmehraufwand. Für die Jahresabschlussprüfungen durch eine beauftragte externe Wirtschaftsprüfungsgesellschaft werden Mehrkosten in Höhe von ca. 10 T€ jährlich generiert.

Zu bedenken ist, dass mit der Wiedereingliederung des oRB in die kamerale Haushaltsführung durch die im oRB entstehenden Verluste sowie dessen Investitionen eine Mehrbelastung für den Verwaltungshaushalt aber auch den Vermögenshaushalt einhergeht und folglich auch eine deutliche Verschlechterung der Ergebnisse der Jahresrechnung eintritt.

 

Zu 2:

Finanzielle Minderbelastungen bzw. Vorteile allein aus der Rechtsform des oRB werden derzeit nicht gesehen. Diese Betrachtung ist jedoch im Hinblick auf die nach herrschender Meinung bestehenden Vorteile der kaufmännischen/doppischen Buchführung einerseits und unter Berücksichtigung der eingeleiteten Reform im Sinne des sogenannten „Neuen kommunalen Finanzwesens“ andererseits irrelevant.

Auf die Vorteile der kaufmännischen Buchführung wird unter 4. detailliert eingegangen.

 

Zu 3:

Eine Reintegration des oRB in die Kernverwaltung ginge insbesondere mit folgenden sehr umfangreichen verwaltungsorganisatorischen Änderungen, die zudem eine Vielzahl von Stadtratsbeschlüssen erforderlich machen, einher:

 

-          Aufhebung der Betriebssatzung des oRB

-          Überführung der Regelungen zum Anordnungswesen und der Kassenordnung in die Verordnungen der Kernverwaltung

-          Anpassung Hauptsatzung

-          Änderung Geschäftsordnung:  IBWT wäre kein Werkausschuss mehr; insbesondere Befugnisse nach § 30 Abs. 1 der GO gehen auf HFA über

-          Überarbeitung sämtlicher Dienstanweisungen, -vereinbarungen und Befugnisregelungen

-          Änderung Organigramme, Geschäftsverteilung etc.

-          Administrative Umstellungen in Fachverfahren und Outlook-E-Mailadressen

-          Aktualisierung Website

-          Anpassung Online-Spendenoption

-          Änderung Briefbögen, Formulare, Vordrucke etc.

-          Anpassung Überweisungsprogramm (SFirm) und Auflösung gesonderter Bankkonten

-          Stammdatenanpassung für 122 Mitarbeiter im Zeiterfassungs- und Entgeltabrechnungs-programm (LOGA)

-          Änderung work flow im Ratsinformationsprogramm „Session“

-          Zusammenführung beider Systeme der Vertragsverwaltung u.v.m.

 

Der gravierendste Arbeitsaufwand wird jedoch in der Rückabwicklung des kaufmännischen Rechnungswesens in die Kameralistik  gesehen. In der Betrachtung gilt es folgendes zu berücksichtigen:

 

Ø  Notwendig wird die Softwareumstellung H&H pro Doppik auf das Modul Kameralistik (erst in 2020 erfolgte die Einführung von H&H pro Doppik im oRB mit enormen zeitlichen und personellen Ressourcen und die erstmalige Etablierung einer Vermögensverwaltung im System)

 

Ø  Modulumstellung auf Kameralistik kommt einer erneuten Softwareumstellung gleich: neue Stammdaten und Datenmigration (Plan- und Istwerte) nicht möglich (nochmals enormer nicht kalkulierbarer Schulungsbedarf etc.)

 

Ø  Überführung der Gewinn- und Verlustrechnung in die Haushaltsplanung und Jahresrechnung durch Umschlüsselung aller Sachkonten, Kostenstellen, Kostenträger in die Gliederungssystematik und Gruppierung der Kameralistik

 

Ø  Bildung einer Vielzahl von zusätzlichen Haushaltstellen

 

Ø  Integration aller Erlöse und Kostenarten (Planjahr und Jahresergebnis Vorvorjahr) in den kameralen Haushaltsplan

 

Ø  Deutliche Zeitverzögerung bei der Aufstellung des Haushaltsplanes im Umstellungsjahr (z. B. mit Aufstellung des Jahresabschlusses in diesem Planjahr sind die Verbindlichkeiten per 31.12. gleichzeitig als Ausgabeansatz zu veranschlagen)

 

Ø  Auflösung der Bilanz und Überführung aller Bilanzdaten in den kameralen Haushalt; Auflösung aller Bilanzpositionen ist nur mit externer Unterstützung möglich (hieraus resultierender finanzieller Aufwand ist auf Grund des nicht überschaubaren Umfangs nicht bezifferbar)

 

Ø  Verlust der Kosten- und Leistungsrechnung und damit der Grundlage für eine ordnungsgemäße Gebühren- und Entgeltkalkulation; deutliche Einschränkung in den Möglichkeiten der  Berichtserstattung an die Stadträte bzw. Ortsteilräte (Minimierung der Transparenz)

 

Ø  Verlust der aufwendig eingerichteten Schnittstelle zum Friedhofsprogramm ProSiris und folglich wieder manuelle Verbuchung sämtlicher Gebührenbescheide

 

Ø  Für den Automatisierungsprozess der Leistungserfassung und -verrechnung wurde das Zusatzmodul von H&H Pro Doppik „Bauhof und Betriebe“ für 22 T€ beschafft.

 

Zu 4:

Der grundlegende Vorteil der Existenz des oRB basiert auf dem kaufmännischen Rechnungswesen mit der etablierten KLR. Die nachfolgende Übersicht zeigt die Vorteile einer kaufmännischen Buchführung im Vergleich zur Kameralistik auf:

 

 

 

Kaufmännische/Doppische Buchführung

 

 

Kameralistik

Erfassung von Erträgen und Aufwendungen (Ressourcen statt Geldverbrauch)

Erfassung von kassenmäßigen Einnahmen und Ausgaben (reiner Geldfluss)

Periodengerechte Abbildung des Werteverzehrs und der Leistungserstellung (Generationengerechtigkeit)

Keine Abbildung des Werteverzehrs und der Leistungserstellung; auch keine periodengerechte Abgrenzung

Jederzeitige Feststellung des Stands des Vermögens und der Schulden möglich

Kein integrierter Vermögensnachweis

Unterjährige Ermittlung des Erfolges: Jahresüberschuss /-fehlbetrag

Unterjährige Berichterstattung sehr schwierig

Kosten-/Leistungsrechnung ermöglicht die Bereitstellung von Daten für innerbetriebliches Controlling

Controllingdaten nur bei begleitender Kosten- / Leistungsrechnung

Bedarfsgerechtere Mittelverwendung

Drang zur Ausschöpfung der Haushaltsansätze („Dezemberfieber“)

 

Beibehaltung der kaufmännischen Buchführung:

 

 

Kameralistik für die Gesamtverwaltung:

Zielgenaue Bereitstellung von Daten für Kalkulationen z.B. Gebührensatzungen (Friedhof, Kita), Betriebskosten möglich

Ungenauere Datenauswertung möglich; Zugrundlegung von bspw. KGSt-Daten oder begleitende Kosten- / Leistungsrechnung erforderlich, die neu aufgebaut werden müsste

Modernes Buchführungssystem mit Parallelen zur Doppik gem. ThürKDG und ThürGemHV-Doppik à zukunftssicher

Thüringer Haushaltsrecht sieht weiterhin Wahlrecht vor; allgemeiner Trend geht jedoch zur Doppik à Auslaufmodell

Darstellung des im Betrieb geführten Vermögens und dessen Verzehr

Begleitende Anlagenbuchhaltung erforderlich

Exakte Planung der Ausgaben möglich, da flexibles Deckungssystem vorhanden

Kostenintensivere Planung erforderlich, da aufgrund fehlender Deckungsmöglichkeiten finanzielle Puffer eingeplant werden müssen

Schnelle Handlungsfähigkeit u.a. bei neuen politisch gewollten Maßnahmen möglich

Großer Verwaltungsaufwand durch üPls und aPls insbesondere bei der Suche nach Deckungsmitteln

Ausschließlich fachspezifisches, betriebswirtschaftlich geschultes Personal in der Finanzbuchhaltung des Regiebetriebs vorhanden;

Auch künftig gute Verfügbarkeit von Fachpersonal auf dem Arbeitsmarkt

Intensiver Schulungsaufwand für Mitarbeiter des Regiebetrieb, die bisher ausschließlich kaufmännisch buchten à Schulungskosten für die Einführung von H+H Modul Kameralistik;

künftig reformbedingt weniger Personalressourcen am Arbeitsmarkt  

 

Beibehaltung der kaufmännischen Buchführung

 

 

Kameralistik für die Gesamtverwaltung

Funktionierende Abrechnung steuerlicher Geschäftsvorgänge

Erschwerte Steuerbearbeitung hinsichtlich der Betriebe gewerblicher Art

 

 

Die Aufgabe der kaufmännischen Buchführung ist im Hinblick auf die diesbezüglichen europa- und deutschlandweiten Entwicklungen keine Option.

Europaweit laufen Umstellungsprozesse zur flächendeckenden Doppik-Etablierung (EPSAS=European Public Sector Accounting Standards), wobei Deutschland hier bislang eine Außenseiterrolle einnimmt:

 

Ø  November 2003: Beschluss der Innenministerkonferenz zur Einführung der Doppik mit Optionslösung

Ø  Januar 2006: Kabinettsbeschluss zu Optionsmodellen und Festlegung, dass Kameralistik bis auf Weiteres fortgeführt werden kann

Ø  November 2008: Inkrafttreten des Thüringer Gesetzes über das neue kommunale Finanzwesen

Ø  Thüringen hat mit dem Gesetz über die Kommunale Doppik, mit der Gemeindehaushalts-verordnung-Doppik, der Thüringer Bewertungsverordnung und umfassenden Verwaltungsvorschriften in 2008-2009 den gesetzlichen Rahmen und die Durchführungsbestimmungen zur Doppikeinführung geschaffen

Ø  Einzig die beiden Bundesländer Thüringen und Bayern machen weiterhin von der Wahlmöglichkeit Gebrauch.  Per Kabinettsbeschluss müssen nun auch in Schleswig-Holstein alle Kommunalhaushalte bis 2024 auf Doppik umgestellt werden.

Ø  April 2010: Beauftragung der PWC mit der Evaluierung der Reform des Haushalts- und Rechnungswesens (Doppik-Einführung) durch den Deutschen Städtetag

Ø  Lt. Thüringer Landesamt für Statistik zum 01.01.2017 haben 34 Kommunen auf Doppik umgestellt (darunter ein Landkreis)

 

Die EU hat 2018 im Zuge der Einführung der harmonisierten Rechnungslegungsstandards  ein EPSAS-Rahmenkonzept formuliert, sodass der Einführungsprozess nicht zuletzt auch aus statistischen Gründen sicher weiter vorangetrieben wird.