II. Fragestellung
1. Welche Chancen räumt die Oberbürgermeisterin der Intention eines hier vor Ort gewählten Kinder- und Jugendparlament ein?
ich beantworte Ihre Anfrage wie folgt:
Der Gesetzgeber schreibt im Kinder- und
Jugendhilferecht (aber auch im Baurecht) eine explizite Beteiligung von Kindern
und Jugendlichen an sie betreffenden Angelegenheiten vor. Nicht vorgeschrieben
ist allerdings das ‚wie‘ der Beteiligung. Diesen Gestaltungsspielraum hat die
jeweilige Kommune als örtlicher öffentlicher Jugendhilfeträger im Rahmen der
Jugendhilfeplanung selbst.
Mit Bezug auf die Anfrage und aus den Erfahrungen bei der Umsetzung von
Kinder- und Jugendparlamenten in Eisenach (1994) und anderen Thüringer
Gebietskörperschaften werden institutionalisierte Formen der strukturellen
Beteiligung kritisch gesehen. Im Entwurf zum „Jugendpolitischen Strategiepapier
bis zum Jahr 2020“ wird auf das Thema Beteiligung/ Partizipation Bezug genommen
(Seite 49- 51).
Wichtigste Gründe für
die kritische Sichtweise auf eine Institutionalisierung der Beteiligung in Form einer
stadtratsähnlichen Struktur sind:
·
das geringe Interesse von Kindern und Jugendlichen
an der Mitwirkung in institutionalisierten oder repräsentativen
Beteiligungsformen
·
das Erreichen nur eines geringen Teils von Kindern
und Jugendlichen in vertretungskörperschaftsähnlichen oder formalisierten (damit oft
ritualisierten) Formen
·
die alterstypisch hohe Fluktuation der Mitglieder
·
die Schaffung von hohen Erwartungshaltungen (ohne
genau zu wissen, ob diskutierte, global kommunalpolitische Sachverhalte auch umgesetzt werden können und damit zu
Erfolgserlebnissen bei den Kindern und Jugendlichen führen)
·
die geringe Fassbarkeit und lange Laufzeiten bis
zur Umsetzung von Ergebnissen
·
dem nicht vorhandenen Rederecht der jugendlichen
„Repräsentanten“ im Stadtrat sowie
·
den kommunalrechtlich nicht geregelten
Gestaltungsspielraum und die Legitimation einer solchen Institution und
·
die Notwendigkeit der permanenten Begleitung einer
solchen ‚Institutionen‘ von politischer-
und Verwaltungsseite (die Kinder und Jugendlichen erwarten zu Recht Antworten auf ihre Fragen und konkrete
Unterstützung).
Unbestritten ist, dass Kinder und Jugendliche
entwicklungsbedingt (Alter, Reife und soziologische Situation) bei der
Vertretung Ihrer Interessen oft eingeschränkt sind und/ oder für sie andere
Beteiligungsformen gefunden werden müssen, als die i.d.R. bei Erwachsenen
angewandten.
Von Seiten des Jugendamtes wird Beteiligung
als durchgängiges Arbeitsprinzip
und Querschnittsaufgabe gesehen und es finden sich
Beteiligungsformen in fast allen
Einrichtungen und bei Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe (Kita,
Jugendförderung, Hilfen zur Erziehung). Diese berühren in der Regel die
unmittelbaren Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen und sind für sie konkret
fassbar.
Nicht nur vor dem Hintergrund der
Wahlbeteiligung junger Menschen und der seit Jahren anhaltenden Diskussion um die Herabsetzung des Wahlalters
auf 16 Jahre besteht die Notwendigkeit, dass direkte Demokratie und politische
Partizipation, insbesondere auch von Kindern und Jugendlichen erlernt werden muss.
Sich aktiv an der Gestaltung des Gemeinwesens zu beteiligen wird
dabei nicht unwesentlich von der Einstellung zu Politikern und zum politischen
Geschehen, der Zufriedenheit mit dem eigenen Lebensumfeld, eigenen Erfahrungen
mit Partizipation z.B. in Schule, Elternhaus oder Vereinen, den Einstellungen
im sozialen Umfeld geprägt und inwieweit
Kinder und Jugendliche über konkrete Partizipationsmöglichkeiten in ihrem
Umfeld bzw. in der Kommune informiert sind.
Dieser Lernprozess bedarf zweifellos
unterstützender Strukturen auch außerhalb von Schule.
In Eisenach gibt es dazu seit mehr als 10 Jahren unter Federführung des
Jugendamtes einen regelmäßigen, außerschulischen Erfahrungsaustausch für
Schülersprecher/ innen. Dieser könnte zukünftig stärker dazu genutzt werden,
die legitimierten Schülervertreter als Multiplikatoren umfassender über das kommunale Geschehen zu
informieren und sie intensiver daran zu beteiligen.
Darüber hinaus ist hier auf die seit 1996 bestehende anwaltschaftliche
Beteiligungsform der Kinderbeauftragten zu verweisen.
Momentan konstituiert sich über das Bundesprogramm „Demokratie leben“ bzw. über die lokalen „Partnerschaften für Demokratie“ in Eisenach und Wutha- Farnroda ein
Jugendforum (Auflage aus den Leitlinien zum Bundesprogramm zur Erlangung der
Fördermittel) unter Federführung des Stadtjugendringes Eisenach e.V..
Diese Entwicklung wird von
Seiten der Verwaltung unterstützt und könnte perspektivisch zu einem wichtigen
Baustein der kontinuierlichen Partizipation von Kindern und Jugendlichen in der
Stadt Eisenach ausgebaut werden.
Daraus könnten für Eisenach vielfältige
Projektideen entstehen, die in Arbeitsgruppen weiterentwickelt und durch
kommunale Akteure aufgegriffen werden,
die vor allem in oder mit Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, in den
Jugendverbänden oder unter Einbezug von bestehenden Vereinsstrukturen, bei der
Stadtplanung oder in Schulen umsetzbar sind. Methodisch könnten hierzu u.a.
Projektideen der Landes- und Bundeszentrale für politische Bildung auf
kommunalpolitische Zusammenhänge angepasst werden.
Als „große“ Beteiligungsmöglichkeit am
kommunalen Geschehen wäre - zunächst jährlich - eine Veranstaltung denkbar, in
der Kinder (und Jugendliche) mit politischen Mandatsträgern und Verwaltung zu
strukturellen Fragen in Eisenach ins Gespräch kommen (Arbeitstitel: „Kinder-
und Jugendgipfel“ oder „Zukunftswerkstatt“). Wenn sich daraus ein
kontinuierliches Treffen mit realen Ergebnissen für die Kinder (und
Jugendlichen) ergibt, wäre das sicher ein Erfolg. Die Federführung könnte bei
der Kinderbeauftragten liegen.
Gegebenenfalls können diese Formen durch
Beteiligungsmöglichkeiten am kommunalen Geschehen via Internet/ Soziale
Netzwerke ergänzt werden.
Eine stärkere und örtlich fassbarere
Partizipation wäre in Verantwortung der Ortschaftsräte in den zu Eisenach
gehörenden Ortsteilen denkbar. Neben der verstärkten
Einbeziehung von Jugendlichen in dörfliche und regionale Entscheidungsprozesse wäre
u.U. eine viel stärkere Identifikation der Jugendlichen mit den Sachverhalten
und dem Wohnort sowie eine Bindungswirkung in Bezug auf den Wohnort denkbar.