Betreff
Anfrage des Stadtratsmitgliedes Herrn Schenke - Einrichtung einer Kinder- und Jugendparlament
Vorlage
AF-0185/2016
Art
Anfrage

II. Fragestellung

 

1.      Welche Chancen räumt die Oberbürgermeisterin der Intention eines hier vor Ort gewählten Kinder- und Jugendparlament ein?


ich beantworte Ihre Anfrage wie folgt:

 

Der Gesetzgeber schreibt im Kinder- und Jugendhilferecht (aber auch im Baurecht) eine explizite Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an sie betreffenden Angelegenheiten vor. Nicht vorgeschrieben ist allerdings das ‚wie‘ der Beteiligung. Diesen Gestaltungsspielraum hat die jeweilige Kommune als örtlicher öffentlicher Jugendhilfeträger im Rahmen der Jugendhilfeplanung selbst.

 

Mit Bezug auf die Anfrage und aus den Erfahrungen bei der Umsetzung von Kinder- und Jugendparlamenten in Eisenach (1994) und anderen Thüringer Gebietskörperschaften werden institutionalisierte Formen der strukturellen Beteiligung kritisch gesehen. Im Entwurf zum Jugendpolitischen Strategiepapier bis zum Jahr 2020“ wird auf das Thema Beteiligung/ Partizipation Bezug genommen (Seite 49- 51). 

Wichtigste Gründe für die kritische Sichtweise auf eine Institutionalisierung der Beteiligung in Form einer stadtratsähnlichen Struktur sind:

·        das geringe Interesse von Kindern und Jugendlichen an der Mitwirkung in institutionalisierten oder repräsentativen Beteiligungsformen

·        das Erreichen nur eines geringen Teils von Kindern und Jugendlichen in vertretungskörperschaftsähnlichen  oder formalisierten (damit oft ritualisierten) Formen 

·        die alterstypisch hohe Fluktuation der Mitglieder

·        die Schaffung von hohen Erwartungshaltungen (ohne genau zu wissen, ob diskutierte, global kommunalpolitische Sachverhalte  auch umgesetzt werden können und damit zu Erfolgserlebnissen bei den Kindern und Jugendlichen führen)

·        die geringe Fassbarkeit und lange Laufzeiten bis zur Umsetzung von Ergebnissen

·        dem nicht vorhandenen Rederecht der jugendlichen „Repräsentanten“ im Stadtrat sowie

·        den kommunalrechtlich nicht geregelten Gestaltungsspielraum und die Legitimation einer solchen Institution und

·        die Notwendigkeit der permanenten Begleitung einer solchen ‚Institutionen‘  von politischer- und Verwaltungsseite (die Kinder und Jugendlichen erwarten zu Recht  Antworten auf ihre Fragen und konkrete Unterstützung).

 

 

Unbestritten ist, dass Kinder und Jugendliche entwicklungsbedingt (Alter, Reife und soziologische Situation) bei der Vertretung Ihrer Interessen oft eingeschränkt sind und/ oder für sie andere Beteiligungsformen gefunden werden müssen, als die i.d.R. bei Erwachsenen angewandten.

 

Von Seiten des Jugendamtes wird Beteiligung als durchgängiges Arbeitsprinzip und  Querschnittsaufgabe gesehen und es finden sich Beteiligungsformen in fast allen Einrichtungen und bei Maßnahmen der Kinder- und Jugendhilfe (Kita, Jugendförderung, Hilfen zur Erziehung). Diese berühren in der Regel die unmittelbaren Lebenswelten der Kinder und Jugendlichen und sind für sie konkret fassbar.  

 

Nicht nur vor dem Hintergrund der Wahlbeteiligung junger Menschen und der seit Jahren anhaltenden  Diskussion um die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 Jahre besteht die Notwendigkeit, dass direkte Demokratie und politische Partizipation, insbesondere auch von Kindern und Jugendlichen  erlernt werden muss.

Sich aktiv an der Gestaltung des Gemeinwesens zu beteiligen wird dabei nicht unwesentlich von der Einstellung zu Politikern und zum politischen Geschehen, der Zufriedenheit mit dem eigenen Lebensumfeld, eigenen Erfahrungen mit Partizipation z.B. in Schule, Elternhaus oder Vereinen, den Einstellungen im sozialen Umfeld geprägt und  inwieweit Kinder und Jugendliche über konkrete Partizipationsmöglichkeiten in ihrem Umfeld bzw. in der Kommune informiert sind.

 

Dieser Lernprozess bedarf zweifellos unterstützender Strukturen auch außerhalb von Schule.

 

In Eisenach gibt es dazu seit mehr als 10 Jahren unter Federführung des Jugendamtes einen regelmäßigen, außerschulischen Erfahrungsaustausch für Schülersprecher/ innen. Dieser könnte zukünftig stärker dazu genutzt werden, die legitimierten Schülervertreter als Multiplikatoren  umfassender über das kommunale Geschehen zu informieren und sie intensiver daran zu beteiligen.

Darüber hinaus ist hier auf die seit 1996 bestehende anwaltschaftliche Beteiligungsform der Kinderbeauftragten zu verweisen.

Momentan konstituiert sich über das Bundesprogramm  „Demokratie leben“  bzw. über die lokalen „Partnerschaften für Demokratie“ in Eisenach und Wutha- Farnroda ein Jugendforum (Auflage aus den Leitlinien zum Bundesprogramm zur Erlangung der Fördermittel) unter Federführung des Stadtjugendringes Eisenach e.V.. 

Diese Entwicklung wird von Seiten der Verwaltung unterstützt und könnte perspektivisch zu einem wichtigen Baustein der kontinuierlichen Partizipation von Kindern und Jugendlichen in der Stadt Eisenach ausgebaut werden.

 

Daraus könnten für Eisenach vielfältige Projektideen entstehen, die in Arbeitsgruppen weiterentwickelt und durch kommunale Akteure aufgegriffen  werden, die vor allem in oder mit Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, in den Jugendverbänden oder unter Einbezug von bestehenden Vereinsstrukturen, bei der Stadtplanung oder in Schulen umsetzbar sind. Methodisch könnten hierzu u.a. Projektideen der Landes- und Bundeszentrale für politische Bildung auf kommunalpolitische Zusammenhänge angepasst werden.

 

Als „große“ Beteiligungsmöglichkeit am kommunalen Geschehen wäre - zunächst jährlich - eine Veranstaltung denkbar, in der Kinder (und Jugendliche) mit politischen Mandatsträgern und Verwaltung zu strukturellen Fragen in Eisenach ins Gespräch kommen (Arbeitstitel: „Kinder- und Jugendgipfel“ oder „Zukunftswerkstatt“). Wenn sich daraus ein kontinuierliches Treffen mit realen Ergebnissen für die Kinder (und Jugendlichen) ergibt, wäre das sicher ein Erfolg. Die Federführung könnte bei der Kinderbeauftragten liegen. 

Gegebenenfalls können diese Formen durch Beteiligungsmöglichkeiten am kommunalen Geschehen via Internet/ Soziale Netzwerke ergänzt werden.

 

Eine stärkere und örtlich fassbarere Partizipation wäre in Verantwortung der Ortschaftsräte in den zu Eisenach gehörenden Ortsteilen denkbar. Neben der verstärkten Einbeziehung von Jugendlichen in dörfliche und regionale Entscheidungsprozesse wäre u.U. eine viel stärkere Identifikation der Jugendlichen mit den Sachverhalten und dem Wohnort sowie eine Bindungswirkung in Bezug auf den Wohnort  denkbar.