Betreff
Anfrage des Stadtratsmitgliedes Herr Schenke - Persönliche Beteiligung nach § 38 ThürKO
Vorlage
AF-0215/2016
Art
Anfrage

II. Fragestellung

 

1.      Wie bewertet die Verwaltung diesen Vorgang?

2.      In wie weit wurde hier gegen den Paragrafen 38 ThürKO verstoßen?

 


ich beantworte Ihre Anfrage wie folgt:

 

Zu 1 und 2.:

In der Sitzung des Jugendhilfeausschusses am 17.03.2016 wurde unter dem Tagesordnungspunkt 5 der gemeinsame Antrag der SPD-, CDU, DIE LINKE und B 90/Die Grünen/BfE-Fraktion zum Kindertreff in Eisenach Nord mit folgendem Wortlaut behandelt: Der Jugendhilfeausschuss war aufgefordert, eine Empfehlung zum Antrag für den Stadtrat abzugeben.

 

Der Stadtrat der Stadt Eisenach beschließt:

1.    Die Oberbürgermeisterin wird beauftragt, bis Ende Mai 2016 den Kindertreff in Eisenach Nord wieder zu eröffnen und hierfür die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Der Betrieb des Kindertreffs Eisenach Nord erfolgt weiterhin in freier Trägerschaft. Die Vergabe an einen freien Träger geschieht im Zuge einer Ausschreibung.

2.    Die aktuelle Jugendförderplanung der Stadt Eisenach ist dahingehend anzupassen, dass bei der strukturellen Maßnahmenplanung (7.3) im Maßnahmenbereich der Kinder- und Jugendarbeit die Personalkostenförderung für Einrichtungen in Eisenach Nord auf insgesamt 5 VZÄ erhöht wird. Die Erhöhung des Personalkostenzuschusses ist in den Haushaltentwurf 2016 einzuarbeiten. 

3.    Sofern der Kindertreff in den ursprünglichen Räumlichkeiten am Gebräun 1e wiedereröffnet wird, sollen dem Begegnungszentrum ersatzweise Räumlichkeiten in Eisenach Nord bereitgestellt werden. Die Oberbürgermeisterin wird beauftragt, in diesem Fall Kontakt mit der Städtischen Wohnungsgesellschaft zur Bereitstellung der Räumlichkeiten aufzunehmen. Die neuen Räumlichkeiten des Begegnungszentrums sollen dahingehend strukturiert sein, dass dort grundsätzlich auch Beratungsleistungen (Ausländerbehörde, Beauftragte für Menschen mit Migrationshintergrund, Sozialberatung, Familienberatung u.a.) angeboten werden können.

 

In der Ausschusssitzung hat der Jugendhilfeausschuss ausschließlich die Einrichtung eines Kindertreffs in Eisenach-Nord diskutiert und zum Antrag folgende Empfehlung abgegeben:

„Der Jugendhilfeausschuss empfiehlt dem Stadtrat der Stadt Eisenach:

Die Beschlussfassung zum vorliegenden Antrag auf die Stadtratssitzung am 10.05.2016 zu vertagen.

 

Das Abstimmungsergebnis war wie folgt:     10 Stimmen dafür

                                                                         0 Stimmen dagegen

                                                                         0 Stimmenthaltungen

 

Mit Ihrer Anfrage möchten sie eine Bewertung und fragen nach einem Verstoß gegen den § 38 ThürKO.

 

Gesetzestext - § 38 ThürKO

 

(1)     Kann ein Beschluss einem Mitglied des Gemeinderates selbst oder seinem Ehegatten oder einem Verwandten oder Verschwägerten bis zum dritten Grad (§§ 1589, 1590 des Bürgerlichen Gesetzbuchs) oder einer von ihm kraft Gesetzes oder Vollmacht vertretenen natürlichen oder juristischen Person unmittelbar einen Vorteil oder Nachteil bringen, so darf es an Beratung und Abstimmung nicht teilnehmen. Dies gilt nicht, wenn das Mitglied an der Entscheidung der Angelegenheit lediglich als Angehöriger einer Berufs- oder Bevölkerungsgruppe beteiligt ist, deren gemeinsame Interessen durch die Angelegenheit berührt werden. Als unmittelbar gilt nur derjenige Vorteil oder Nachteil, der sich direkt aus der Entscheidung ergibt, ohne dass weitere Ereignisse eintreten oder Maßnahmen getroffen werden müssen, die über die Ausführung von Beschlüssen hinausgehen. ...

(2)     ...

(3)     Der Betroffene hat die Tatsachen, die seine persönliche Beteiligung begründen können, vor Beginn der Beratung unaufgefordert dem Gemeinderat zu offenbaren. Die Entscheidung über den Ausschluss von der Beratung und Abstimmung trifft der Gemeinderat in nicht öffentlicher Sitzung in Abwesenheit des Betroffenen.

(4)     Der Beschluss ist nur dann unwirksam, wenn ein Mitglied des Gemeinderats oder ein hauptamtlicher Beigeordnete zu Unrecht von der Beratung und Abstimmung ausgeschlossen worden ist oder ein persönlich Beteiligter an der Abstimmung teilgenommen hat und nicht auszuschließen ist, dass seine Teilnahme an der Abstimmung für das Abstimmungsergebnis entscheidend war. Der Beschluss gilt jedoch als von Anfang an wirksam, wenn die in Satz 1 genannte Verletzung der Bestimmungen über die persönliche Beteiligung nicht innerhalb von drei Monaten nach der Beschlussfassung unter Bezeichnung der Tatsachen, die eine solche Verletzung begründen können, gegenüber der Gemeinde geltend gemacht worden ist. ...

 

Ziel der Mitwirkungsverbote         
(Erläuterung zum Gesetzesentwurf der Landesregierung vom 13.02.2002)

 

·         Es soll verhindert werden, dass sich kommunale Entscheidungsträger bei ihren Entscheidungen von Motiven leiten lassen, die nicht am Gemeinwohl orientiert, sondern durch eigene Interessen bestimmt sind. Sie sind insofern Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips nach Art. 19 Abs. 4 GG.

·         Das Mitwirkungsverbot soll ferner das Vertrauen der Bevölkerung in die „Sauberkeit der Ratsarbeit“ erhalten.

·         Den betroffenen Personen sollen persönliche Konfliktsituationen erspart werden, die unausweichlich wären, wenn bei einer Entscheidung des Gemeinderats abzuwägen wäre zwischen Interessen der Gemeinde einerseits und denjenigen eines nahen Angehörigen andererseits.

 

Gegensatz zu Mitwirkungsverboten

 

·         Erhaltung der Funktionsfähigkeit des gemeindlichen Kollegialorgans          
(Der – unrechtmäßige – Ausschluss eines Ratsmitgliedes kann die politischen Mehrheitsverhältnisse verändern und damit die Repräsentationsfunktion des Kollegialorgans einschränken)

·         Die Mitglieder der kommunalen Vertretungskörperschaft haben das Recht auf ungehinderte Teilnahme an den Entscheidungen der Gremien.
       
(Erläuterungen zum Kommunalrecht „Kommunalpolitisches Forum Thüringen e.V.)

 

Þ                 Die Auslegung des § 38 ThürKO erfolgt in einem ständigen Spannungsverhältnis zwischen den Zielen und den Rechten der Gemeinderäte beziehungsweise der Wahrung der Arbeitsfähigkeit des Kollegialorgans.  
(Erläuterung zum Gesetzesentwurf der Landesregierung).

 

Definition Vorteil/Nachteil

 

Der Begriff des Vorteils/Nachteils ist grundsätzlich weit zu fassen. Es genügt hier jede materielle oder ideelle Besser- oder Schlechterstellung.             
(Kommentierung Uckl/Hauth/Hoffmann)

 

Definition Unmittelbarkeit

 

Unmittelbarkeit ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der der Auslegung bedarf. Es besteht hierbei ein Beurteilungsspielraum, der uneingeschränkt von den Aufsichtsbehörden und den Verwaltungsgerichten überprüft werden kann. Ein nur eingeschränkt überprüfbarer Ermessensspielraum besteht nicht.

 

Die Unmittelbarkeit ist zunächst nur gegeben, wenn der Vorteil oder Nachteil folgt:

 

·         aus dem Beschluss selbst        
(Beschluss trägt den Vollzug in sich)

·         aus dem Vollzug des Beschlusses         
(Der Beschluss erlangt durch den Vollzug des Bürgermeisters Außenwirkung.)

 

Der Beschluss des Gemeinderats muss ursächlich für den möglichen Eintritt des Vor- oder Nachteils sein. Hierbei genügt ein adäquater Kausalzusammenhang, d. h., es reicht aus, dass der Beschluss nach den allgemeinen Lebenserfahrungen geeignet ist, den Vor- oder Nachteil herbeizuführen. Bloße Spekulationen können Unmittelbarkeit nicht begründen. Unmittelbarkeit setzt weiter voraus, dass der Gemeinderat bei seinem Beschluss gerade gegenüber dem Betroffenen eine Regelung zu seinem Vor- oder Nachteil treffen will. Das ist dann der Fall, wenn der Beschluss auf die individuellen Interessen des Betroffenen abstellt und ihm einen Sondervorteil oder –nachteil bringt.

(Kommentierung Uckl/Hauth/Hoffmann)

 

Schlussfolgerungen:

 

Es ist zunächst zu prüfen, ob die Empfehlung des Jugendhilfeausschusses an den Stadtrat unmittelbar für das stimmberechtigte Mitglied und gleichzeitig Vorsitzenden des Jugendhilfeausschusses, Herrn Böhm, einen Vorteil oder Nachteil bringt. Dies muss verneint werden. Herr Böhm ist Leiter der Geschäftsstelle der Caritasregion Südthüringen. Die Caritas betreibt derzeit bis zum 30.06.2016 in Trägerschaft das Begegnungszentrum Eisenach-Nord.

 

Die letztendliche Entscheidung über den Antrag trifft der Stadtrat. Herr Böhm ist nicht Mitglied des Stadtrates und kann somit die Entscheidung nicht beeinflussen. Der Vorteil oder Nachteil könnte sich nur aus dem Vollzug des Beschlusses ergeben. Demzufolge beinhaltet die Empfehlung des Jugendhilfeausschusses zum o.g. Antrag keine Maßnahme, die einen unmittelbaren Vorteil oder Nachteil für Herrn Böhm bringt.

 

Entsprechend der Ausführungen ist festzustellen, dass eine persönliche Beteiligung von Herrn Böhm gemäß § 38 ThürKO nicht gegeben ist.