Betreff
Neuregelung der Umsatzbesteuerung juristischer Personen des öffentlichen Rechts ab 01.01.2017,
hier: Abgabe der Optionserklärung gemäß § 27 Abs. 22 UStG zur Anwendung des alten Rechtsstandes bis zum 31.12.2020
Vorlage
0623-StR/2016
Aktenzeichen
20.1 / 20 70 00
Art
Beschlussvorlage Stadtrat

I. Beschlussvorschlag:

 

Der Stadtrat der Stadt Eisenach beschließt:

 

Gemäß § 27 Abs. 22 Umsatzsteuergesetz (UStG) aktueller Fassung ist für sämtliche vor dem 01. Januar 2021 erbrachten Leistungen der Stadt Eisenach weiterhin der § 2 Abs. 3 Umsatzsteuergesetz (UStG) in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung anzuwenden.

 

Die Oberbürgermeisterin wird beauftragt, gegenüber dem zuständigen Finanzamt rechtzeitig vor dem 31.12.2016 eine entsprechende schriftliche Optionserklärung abzugeben, welche für den gesamten umsatzsteuerlichen Bereich einschließlich des optimierten Regiebetriebes (Amt für Tiefbau und Grünflächen) gilt.

 

Die Optionserklärung kann jeweils mit Wirkung zum 01.01. eines auf deren Abgabe folgenden Kalenderjahres, spätestens für das Haushaltsjahr 2020, widerrufen werden. Hierfür bedarf es einer erneuten Beschlussfassung des Stadtrates der Stadt Eisenach.

 

Darüber hinaus wird die Oberbürgermeisterin beauftragt, jährlich - spätestens in der letzten regulären Stadtratssitzung eines Jahres – über den aktuellen Sachstand zu berichten.


II. Begründung:

 

Seit Jahren steht die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand im Fokus der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs und des Europäischen Gerichtshofs. Soweit es um Fragen der Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand geht, wurde der Verwaltung durch die Rechtsprechung der Gerichte aufgezeigt, dass das deutsche Umsatzsteuerrecht in Teilen nicht in Übereinstimmung mit der europäischen Mehrwertsteuersystemrichtlinie steht und Anpassungsbedarf besteht.

 

Vor diesem Hintergrund hat sich der Bundesgesetzgeber veranlasst gesehen, durch das Steueränderungsgesetz 2015, welches am 05.11.2015 im Bundesgesetzblatt (BGBl. 2015 I S. 1834ff.) verkündet worden ist, die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand eingehend zu ändern.

 

Nach der bis zum 31.12.2015 geltenden Fassung des Umsatzsteuergesetzes (UStG) waren juristische Personen des öffentlichen Rechts (jPdöR) gem. § 2 Abs. 3 UStG nur im Rahmen ihrer Betriebe gewerblicher Art (BgA), der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe sowie in den Tätigkeitsbereichen, die nach § 2 Abs. 3 Satz 2 UStG als unternehmerische Tätigkeiten gelten (z. B. Leistungen der Vermessungs- und Katasterbehörden bei Wahrnehmung von Aufgaben des Liegenschaftskatasters) unternehmerisch tätig. Im Umkehrschluss gehörten alle vermögensverwaltenden und alle hoheitlichen Tätigkeiten nicht zum unternehmerischen Bereich der jPdöR und waren damit auch nicht umsatzsteuerbar bzw. -pflichtig (Ausnahme: größere Wettbewerbsverzerrungen nach Abschnitt 2.11 Abs. 2 Satz 4 UStAE).

 

Mit der o. g. Neuregelung des Umsatzsteuerrechts wird die Umsatzbesteuerung der öffentlichen Hand für sämtliche nach dem 31.12.2016 ausgeführten Leistungen umfassend geändert.

 

§ 2 Abs. 3 UStG in der bis zum 31.12.2015 geltenden Fassung wurde vollständig gestrichen. Es wurde stattdessen ein neuer § 2b eingefügt, der nunmehr die Umsatzbesteuerung von juristischen Personen des öffentlichen Rechts regelt. Die Anwendungsregelungen für § 2b UStG sind im § 27 Abs. 22 UStG verankert worden. Die alten (§ 2 Abs. 3 UStG) und die neuen gesetzlichen Bestimmungen (§§ 2b und 27 Abs. 22 UStG) können im Wortlaut den Anlagen 1 bis 3 entnommen werden.

 

Generell ist aufgrund der Neuregelung des UStG von einer erheblichen Ausweitung der steuerbaren und steuerpflichtigen Leistungen der Stadt Eisenach auszugehen, was insbesondere auch anhand der wesentlichen Eckpunkte des neuen Rechts sichtbar wird:

 

-       So stellt das Gesetz im Hinblick auf eine Umsatzsteuerpflicht der jPdöR nicht mehr auf den Betrieb gewerblicher Art und sonstige definierte Sondertatbestände ab.

-       Vielmehr unterliegen nach der Neuregelung juristische Personen des öffentlichen Rechts ab 01.01.2017 grundsätzlich mit ihren Tätigkeiten der Umsatzsteuer, es sei denn, es handelt sich um Tätigkeiten, die ihnen im Rahmen der öffentlichen Gewalt obliegen. Die Freistellung von Tätigkeiten der öffentlichen Gewalt greift dann nicht, wenn es zu größeren Wettbewerbsverzerrungen kommt – hier gilt eine tätigkeitsbezogene Umsatzgrenze von 17.500 EUR p. a.

-       Interkommunale Kooperationen sind unter bestimmten, an das Vergaberecht orientierten Voraussetzungen, nicht als Wettbewerbsverzerrung zu definieren (Leistungserbringung der öffentlichen Hand auf gesetzlicher Grundlage, Zusammenarbeit aufgrund gemeinsamer spezifischer öffentlicher Interessen, Leistungserbringung im Wesentlichen nur an andere jPdöR). Damit kann eine Freistellung von umsatzsteuerlichen Belastungen erreicht werden.

 

Für die Besteuerungspraxis kommt damit eine der größten Herausforderungen auf die Steuerfunktion der Kommunen zu. Die Auswirkungen beschränken sich dabei nicht nur auf die Phase der Implementierung der Neuregelungen sondern wirken auch dauerhaft fort. Insbesondere erhöht sich einerseits der Aufwand in Form einer Zunahme des Bedarfs an einzelfallbezogenen Beratungen, um z. B. eine zutreffende steuerliche Behandlung des jeweiligen Sachverhalts sicher zu stellen, und andererseits gilt es in der Verantwortung der Steuerfunktion der Finanzverwaltung dauerhaft ein steuerliches Risikomanagement- und Kontrollsystem umzusetzen.

 

Diese Entwicklung wird damit nicht nur einen erheblichen Steuermehraufwand erzeugen, sondern im täglichen Geschäft auch eine signifikante Ausweitung der steuerlichen Verwaltungspraxis nach sich ziehen.

 

Aufgrund der weitreichenden Veränderungen dürften derzeit nur kleinere Kommunen mit einem eher geringen Leistungsumfang in der Lage sein, die Auswirkungen der Neuregelung zu beurteilen und die Prozesse so schnell umstellen zu können, dass ab 2017 die neuen Anforderungen beachtet werden können.

 

Größere Kommunen, wie auch die Stadt Eisenach, werden dagegen aufgrund des erheblichen Leistungsumfangs nicht in der Lage sein, die sich durch die Neuregelung des UStG ergebenden finanziellen Auswirkungen bis zum Ende diesen Jahres seriös bewerten und berechnen zu können.

 

Daher ist der Gesetzgeber den Forderungen der kommunalen Spitzenverbände entgegen gekommen und hat den Kommunen durch § 27 Abs. 22 UStG eine großzügige Übergangsregelung eingeräumt. Danach kann durch eine schriftliche Optionserklärung bis spätestens 31.12.2016 (nicht verlängerbare Ausschlussfrist!) gegenüber dem zuständigen Finanzamt erklärt werden, dass die bisherigen Besteuerungsgrundsätze nach dem UStG in der bis zum 31.12.2015 geltenden Fassung längstens bis zum 31.12.2020 weiter angewendet werden (diesbezüglich wird auch auf das Anwendungsschreiben des BMF vom 19.04.2016 [siehe Anlage 4] verwiesen). Diese Übergangszeit wird – vor allem bei größeren Kommunen – erforderlich sein, damit alle zukünftig potentiell umsatzsteuerbaren und –pflichtigen Sachverhalte identifiziert, im Sinne wirtschaftlichen Verwaltungshandelns optimiert und die Verwaltungsprozesse verändert werden können. Die Zielstellung muss darin bestehen, dass die für Steuererklärungen erforderlichen Basisdaten in wirtschaftlich vertretbarer Weise ermittelt und den zuständigen Stellen zur Verfügung gestellt werden können.

 

Die Optionserklärung kann nur einheitlich für alle Leistungen der Stadt Eisenach und des optimierten Regiebetriebes (Amt für Tiefbau und Grünflächen) abgegeben werden. Eine Beschränkung auf einzelne Teilbereiche ist nicht möglich.

 

Die Optionserklärung kann jeweils mit Wirkung vom Beginn eines auf die Abgabe folgenden Kalenderjahres widerrufen werden, wenn festgestellt wird, dass nicht der volle Übergangszeitraum für die Umstellung benötigt wird oder die Anwendung der neuen Besteuerungsgrundsätze wirtschaftliche Vorteile bietet. Hierfür bedarf es einer erneuten Beschlussfassung durch den Stadtrat. Eine nochmalige Rückkehr zum alten Rechtsstand ist dann allerdings ausgeschlossen.

 

Ab dem 01.01.2021 sind die neuen Besteuerungsgrundsätze zwingend und für alle jPdöR anzuwenden.

 

Nach Einschätzung der kommunalen Spitzenverbände führt die neue gesetzliche Regelung, die im Wesentlichen aufgrund europarechtlicher Vorgaben erforderlich war und insofern vom Grundsatz her begrüßt wird, zu erheblichen administrativen und finanziellen Zusatzbelastungen für die kommunalen Haushalte.

 

Des Weiteren wirft die neue gesetzliche Regelung zahlreiche Auslegungsfragen und Rechtsunsicherheiten auf, z. B. hinsichtlich der Begrifflichkeiten „größere Wettbewerbsverzerrungen“ oder „gleichartige Tätigkeiten“. Diesbezüglich hat das Bundesministerium für Finanzen (BMF) für das Jahr 2016 die Einrichtung einer Arbeitsgruppe auf Bund-Länder-Ebene sowie die Erarbeitung eines Schreibens zu Anwendungs- und Auslegungsfragen angekündigt.

 

Der Entwurf dieses BMF-Schreibens liegt der Stadt Eisenach inzwischen mit Datum vom 28.09.2016 vor. Die kommunalen Spitzenverbände wurden aufgefordert, eine Stellungnahme zu diesem Entwurf bis zum 27.10.2016 abzugeben, so dass es sich bei dem vorliegenden Schreiben vermutlich nicht um die Endfassung handelt.

 

Der Entwurf des Schreibens wird gegenwärtig durch die Verwaltung inhaltlich geprüft. Es ist zu erwarten, dass sich durch die Neuregelung der Umsatzbesteuerung erhebliche Auswirkungen für die Bürger und Nutzer von Einrichtungen von Dienstleistungen, vor allem aber auch für die Stadt als Steuerpflichtige ergeben. Eine Anpassung der Verwaltungsabläufe, -organisation und des Buchhaltungssystems an die geänderten steuerrechtlichen Rahmenbedingungen wird erheblichen Zeitaufwand und zusätzliche Kosten verursachen.

 

Die Aufgabenstellung erfordert ein hohes Maß an steuerrechtlichen Spezialkenntnissen, z.B. Kenntnissen des nationalen Ertragssteuerrechts, der Umsatzsteuer sowie der Besteuerung der öffentlichen Hand.

 

Aufgrund der Komplexität und der erforderlichen Fachkenntnisse ist davon auszugehen, dass die Stadt auch externe Unterstützung durch ein sachverständiges Steuerbüro bei der Beurteilung und Bewertung der steuerrechtlichen Auswirkungen sowie bei der Umsetzung der notwendigen Maßnahmen heranziehen muss. Hierfür werden vorsorglich notwendige Beratungskosten im Haushaltsplan 2017 im Deckungskreis 0082 (Finanzverwaltung – Sachverständigen- und Gerichtskosten) eingeplant.

 

Vor allem aufgrund der zu erwartenden Zusatzbelastungen und der derzeit in erheblichem Maße bestehenden Rechtsunsicherheiten empfiehlt die Unterzeichnerin, dass die Stadt Eisenach die o. g. Optionserklärung gegenüber dem zuständigen Finanzamt bis spätestens 31.12.2016 abgibt.

 

Unabhängig von der Abgabe der Optionserklärung wird die Unterzeichnerin verwaltungsintern alle erforderlichen Maßnahmen vorbereiten und umsetzen, die zur Bewältigung der Anforderungen an die neuen umsatzsteuerrechtlichen Regelungen erforderlich sind.

 

Hierzu ist zunächst eine Bestandsaufnahme aller Verträge, Vereinbarungen, interkommunaler Kooperationen sowie aller sonstigen Leistungen in allen Verwaltungsbereichen (Kernverwaltung und optimierter Regiebetrieb) erforderlich. Im Ergebnis sollen alle privatrechtlichen Leistungen und alle Leistungen auf öffentlich-rechtlicher Grundlage mit Wettbewerbsbezug identifiziert werden. Hierzu bedarf es der Einbindung aller Fachämter und –abteilungen der Stadtverwaltung und des optimierten Regiebetriebes.

 

Nach der Bestandsaufnahme sind alle Leistungen auf ihre bestehenden steuerlichen Risiken hin zu bewerten. Soweit erforderlich und möglich, sind die bestehenden privatrechtlichen Verträge anzupassen.

 

Weiterhin müssen auch alle aktuellen und künftig geplanten Investitionsvorhaben (Bsp.: Handballhalle!) in Bezug auf die Neuregelung der Umsatzbesteuerung geprüft werden. Dabei sind insbesondere die Vorsteuerabzugspotentiale zu analysieren.

 

Wie oben bereits beschrieben, ist nach vorläufiger Einschätzung grundsätzlich davon auszugehen, dass die Neuregelung der Umsatzbesteuerung zu einer deutlichen Mehrbelastung des städtischen Haushalts führen wird. Daher wird die Verwaltung innerhalb des Übergangszeitraums untersuchen, inwieweit rechtliche oder organisatorische Gestaltungsmöglichkeiten zur Vermeidung zusätzlicher Haushaltsbelastungen bestehen. Da innerhalb der Stadtverwaltung das notwendige umsatzsteuerrechtliche Fachwissen nicht vorgehalten werden kann, wird der Prozess voraussichtlich durch ein sachverständiges Steuerbüro begleitet und unterstützt werden müssen.

 

Sollte sich vor dem Haushaltsjahr 2020 herausstellen, dass die Anwendung des neuen Rechts für die Stadt Eisenach wirtschaftlicher ist, soll die Optionserklärung zur Weiterführung der bisherigen umsatzsteuerlichen Besteuerungsgrundsätze widerrufen werden. Hierfür ist eine erneute Beschlussfassung des Stadtrates erforderlich.

 

Darüber hinaus hat die Oberbürgermeisterin jährlich – spätestens in der letzten regulären Stadtratssitzung – über den Umsetzungsstand der oben genannten Maßnahmen zu berichten.


Anlagenverzeichnis:

 

-       Anlage 1 – Wortlaut des § 2 Abs. 3 UStG in der bis zum 31.12.2015 geltenden Fassung

-       Anlage 2 – Wortlaut des § 2b UStG in der aktuellen Fassung

-       Anlage 3 – Wortlaut des § 27 UStG in der aktuellen Fassung

-       Anlage 4 – Schreiben des BMF vom 19.04.2016 zur Anwendung der Übergangsregelung des § 27 Abs. 22 UStG